Wir waren mal wieder auf „Bildungsurlaub“. Wie am Ende unseres Urlaubs in der Normandie schon angedacht, hat es uns tatsächlich nach Herefordshire verschlagen, einer Grafschaft südwestlich von Birmingham. Loriot-affine Menschen müssen hier natürlich an die legendäre Fernsehansage denken, und tatsächlich hat es uns ein paar Anläufe gekostet, bis der geduldige Brite/ die geduldige Britin bei unserer Erwähnung von Hereford oder Herefordshire nicht die Augenbrauen hochzog.
Egal, wir waren ja nicht in den Sprachferien, sondern auf Cider-Mission unterwegs. Wir wolten durch blühende Apfel-Landschaften wandern und eine Vielzahl von Cider probieren. Soviel vorneweg: Dank böser Erkältung meinerseits am dritten Tag wurde das Programm deutlich reduziert: mit verstopfter Nase macht das Cider-Tasting einfach keinen Spaß. Aber so ganz haben wir uns nicht aufhalten lassen…
Los ging es bereits in Birmingham: in einem Pub haben wir Cider bestellt und „Orchard Thieves“ bekommen … in Deutschland bekannt als „Apfelräuber“ … und in anderen Ländern unter ähnlichen, lokalen Namen … immer gut am Fuchs zu erkennen:
Also gut, beim nächsten Mal passen wir besser auf … vorsichtshalber haben wir uns schon im Supermarkt eingedeckt:
Bevor hier nur Bilder goldgelber Flüssigkeit abgespult werden, ein kleiner Ausflug in die Theorie: Was unterscheidet den Cider von Apfelwein?
Beim Öffnen eines traditionellen, handwerklichen Ciders bemerkt man zuerst die noch enthaltene Kohlensäure, und beim Trinken den mal mehr mal weniger ausgeprägten Hefe-Geschmack und deutliche Restsüße. Das alles ist auf die traditionelle Herstellung zurückzuführen.
Beim heimischen Apfelwein lassen wir das Stöffsche bis zum Schluss im Fass, und erst nach dem vollständigen Durchgären wird es z.B. auf Flaschen gezogen. Dabei wird darauf geachtet, dass keine Hefe mit umgefüllt wird.
Anders beim Cider: Hier wird das Stöffsche sehr bald nach der stürmischen (und meist auch spontanen) Gärung in Flaschen umgezogen, wobei die Mitnahme von etwas Hefe eher erwünscht ist. Dadurch gärt es in der Flasche weiter, bis der entstandene Druck und Alkohol dafür sorgt, dass die Hefen absterben = die Gärung stoppt. Das führt zur Kohlensäure in der Flasche, zur Restsüße und ggf. auch noch zu Resthefe. Der Alkoholgehalt ist i.A. niedriger als bei unserem Apfelwein.
Wichtig ist hier – ihr habt es euch bestimmt schon gedacht – das kleine Wörtchen „traditionell“ oder „handwerklich“. Denn natürlich produzieren die Großen wie Bulmers oder Westons (beide aus Herefordshire) ganz anders: Saft erzeugen, Bakterien ‚abtöten‘, Hefe dazu, Gärung abstoppen, Filtrieren, Abfüllen, Kohlensäure dazu, fertig.
Quizfrage: Wieviel Apfelsaft muss ein Cider mindestens haben? 35% – der Rest darf Wasser sein. Also aufgepasst beim Cider-Kauf 😉
Im Pub muss man halt trinken was es so gibt, z.B. diesen hier:
Ebenfalls im Pub haben wir „Black Cider“ kennengelernt; das kommt davon, wenn man mit dem Menschen hinter der Theke ins Schwätzen kommt: Cider + Johannisbeerlimonade. Ich fand’s gar nicht so schlecht (muss mit der Urlaubsstimmung zusammenhängen), Elisabeth war nicht so begeistert:
In Summe waren wir sehr angetan von der Vielfalt und Kreativität der dortigen „Szene“. Jedes Dorf hat die eigene „Hausmarke“/ den lokalen Keltereibetrieb … oder zumindest nicht weit weg. Es gibt den klassischen „Streuobstmix“ und sortenreine Cider. Ein ganz großes Thema ist hier auch der „Perry“, also der ‚Cider‘ aus Birnen (pear) … ebenfalls sehr lecker.
Aber wie gesagt: beim Bestellen muss man ggf. genauer Nachfragen was man bekommt. Es ist nicht so, dass man hier nur die lokalen Anbieter findet:
Zum Schluss möchte ich noch etwas ausführlicher von unserem Ausflug nach Much Marcle erzählen, wo zwei Keltereien angesiedelt sind, die unterschiedlicher nicht sein können. Wir haben ziemlich in der Mitte zwischen den beiden Standorten geparkt, und es war reiner Zufall, dass wir zunächst beim kleineren der beiden gelandet sind … das war großes Glück .. warum werdet ihr gleich lesen. Hier beginnen möchte ich aber mit dem größeren, um nicht zu sagen: sehr großen: Westons Cider:
Ich habe mal versucht das Betriebsgelände auf 1 Foto zu bekommen … schwierig:
Soviel zur Cider-Romantik 😉. Die rote Markierung weist auf die ‚unzähligen‘, riesigen Tanks hin, in denen Cider gelagert wird. Jetzt habe ich zugegebenermaßen nicht so viele Vergleiche, doch der Eindruck trügt nicht: Possmann (*) ist kleiner.
Das war dann die Ernüchterung, nachdem wir vorher eine ganz andere Kelterei kennenlernen durften: Gregg’s Pit. Das ist eine Kelterei ganz nach unseren romantischen Vorstellungen. Ein Kleinbetrieb, der im Nebenerwerb gerade soviel Cider herstellt/ verkauft, dass die Unkosten für die Materialien und der Unterhalt der Obstwiesen dabei herausspringen. Lt. eigenen Angaben werden jährlich 6.000-7.000 Liter hergestellt – großteils vom Ehepaar James Marsden/ Helen Woodman selbst. Wir hatten das Glück, dass James uns an einer Führung teilhaben ließ, die zufällig(!) genau startete, als wir an seinem Hof ankamen – unsere Entscheidung zunächst den kleineren Betrieb aufzusuchen war also goldrichtig 😀. Die Führung war für 5 Personen geplant, mit uns nun eben 7. Diese kleine Gruppe ermöglichte ausführliche Gespräche, und ich bin so froh, dass mein Englisch deutlich besser ist als mein Französisch. Gerne hätte ich so auch mit den Leuten in den Cidrerien der Normandie „gefachsimpelt“. Es würde hier dann doch zu weit führen alles zu beschreiben, aber in Stichworten: Eigene Herstellung und Abfüllung, kleine Chargen, Verkauf an Privatleute und Gastronomie, Einnahmen fließen wieder in den Betrieb, alles voll „Öko“, sowohl bei der Cider-Herstellung, als auch bei der Pflege der „Orchards“, spontane Vergärung, Experimente mit „Schaumwein“ und „Brand“ … und James versteht es meisterlich seine Begeisterung für das Metier zu transportieren. Ach so, und es schmeckt sogar 😂👍
Fazit unserer (gar nicht so langen) Reise: da wollen wir wieder hin … also vielleicht nicht genau da hin, aber nach England … da gibt es noch mehr Cider-Gegenden. Außer Cider-Tasting kann man dort auch ganz prima wandern, quer über Wiesen (right-of-way) durch die hügelige Landschaft mit wunderschönen Aussichten.
Zum Abschluss noch ein Bild einer Apfelpresse … so eine wird auch bei Gregg’s Pit verwendet … aber James wollte sie (noch) nicht hergeben („I am 66 years old and not ready to give up, yet“) – schade eigentlich .. so eine fehlt noch in unserer Sammlung 😎
(*) Apropos Possmann: Da geht man nichtsahnend ins Cider-Museum in Hereford, und was steht da … unfassbar 😉