„‚Same procedure as last year?‘ ‚Same procedure as every year, James!'“ So oder ähnlich verlaufen die Dialoge bei Streuobstwiesenbesitzern kurz nach der Jahreswende, und in meinem Fall ist das stets ein Anlass nochmal einen tiefen Schluck aus der (Apfelwein-)Pulle zu nehmen („I think we’ll have cider with the trees“), zuversichtlich „well, I’ll do my very best“ zu flüstern … um dann in der Garage zu verschwinden um die Werkzeuge zu warten. Beim Hochentaster leckte Kettenöl (leider nicht nur tröpfchenweise), und das neue (gleichwohl gebrauchte) Spielzeug ‚Elektroschere‘ musste begutachtet werden:
Der Obstbaumschnitt gehört bei mir nach wie vor zu den Pflichtübungen. Das haben wir jetzt zwar schon x-Mal (> 10 Jahre) gemacht, durch Kurse und Literatur in der Theorie verfestigt – doch wenn ich dann mit allerlei Werkzeug bewaffnet vor einem Schosse-strotzenden Halbstamm stehe, dann kommt sie: die verflixte Unvereinbarkeit von Theorie und Praxis.
„Alle Schosse raus“, „Nicht mehr als 30% vom Baum“, „unten zaghaft, oben kräftig“, „Saftwaage beachten“, „Wie wär’s mal mit einer Hohlkrone?“, „Stamm- und Leitastverlängerungen stärken“, „ein Hut muss durchfliegen können“ … und wenn man dann endlich angefangen hat und glaubt alles im Griff zu haben, kommt irgendein Mensch und fragt „wieso hast’n das so gemacht?“
Tja, wieso? Weil … was weiß ich … ich habe wohl – wie beim Frisör – den Baum gefragt, wie er’s gerne hätte, und nach der Antwort „oben etwas kürzer, unten stufig, die Leitäste frei“ habe ich den Schnitt vollzogen. Wie denn sonst?!
Tatsächlich würde ich bevorzugen wenn der Baum mal schreien („Aua! Mein Ohr!“), oder wohlig brummen würde („hm, jaaa, die Kopfmassage tut soo gut“). Tut er aber nicht.
Jetzt kommen die Schlaumeier und sagen: „Doch doch, der Baum spricht mit Dir! Er zeigt es nur anders: Übermäßige Schosse, zu wenig/ zu viele/ zu dichte Blüten, gute/ schlechte Ernte, extreme Alternanz, usw. … dadurch drückt der Baum sich aus“. Das ist sicher richtig, trotzdem würde ich ein direktes/unmittelbares Feedback bevorzugen.
Ihr merkt: das mit dem Baumschnitt ist genau mein Ding 😉
Andererseits: Jetzt machen wir das wie gesagt schon > 10 Jahre, die Bäume stehen noch und werfen auch regelmäßig Äpfel ab – so richtig falsch kann das alles nicht sein was ich/ was wir den Bäumen antun. Und am Ende macht es ja doch auch Spaß. Vor allem kommt das Bürotier mal an die frische Luft. Und wenn dann auch noch die Sonne scheint … herrlich!
Aber mal im Ernst: Früher war mehr Winter, oder? Oha, jetzt klinge ich schon wie die (Groß-)Elterngeneration: „Ihr wisst ja gar nicht mehr was Kälte ist. Damals, anno 19xx – DAS waren noch Winter!“. Yo, eh klar, Klimawandel und so. Ich dachte aber eher an die besagten letzten 10 Jahre. Vor meinem geistigen Auge ist Obstbaumschnitt mit unangenehmer, feuchter Kälte verbunden. Mal 1-2 Stunden raus, und wenn die Finger klamm sind schnell wieder heim ans prasselnde Kaminfeuer.
Ist aber gar nicht mehr so. Mittlerweile finden unsere „Schnittfeste“ bei Sonnenschein statt, und etwas Windschatten findet sich auch immer. Letztes Jahr war sogar Picknick im (langärmeligen) T-Shirt angesagt.
Tatsächlich glaube ich allerdings, dass das weniger mit dem Klimawandel, als mit einem Lerneffekt zu tun hat, sozusagen ‚gelernte Gelassenheit‘. Wir schneiden halt nur noch, wenn wir Lust darauf haben und das Wetter nicht allzu garstig ist. Und wenn das Timing ungünstig ist – naja, was soll’s, dann wird der eine oder andere Baum halt mal nicht geschnitten. Macht nix, der Baum kann ja zum Glück nicht schreien 😉
Am Ende darf der Spaß nicht verloren gehen – das ist das Wichtigste. Und bei der Frage „noch’n Baum schneiden oder den neuen Schoppe probieren“ darf guten Gewissens der Schoppe gewählt werden.
Übrigens: „kelteraktiv“ ist nun auch bei Instagram zu finden: @kelteraktiv
Wie ist die Abgrenzung zu dem Blog hier? Ganz einfach: der Blog bleibt „die Heimat“ von „kelteraktiv“, hier tobe ich mich aus, meistens (so wie heute) eher textlastig. Auf Instagram kommen ein paar Bilder – fertig.